NEUANFANG
11/05/2008 10:53:00 AM Edit This 2 Comments »
19.08.92
Wie konnte es nur so weit kommen?? Jetzt sitze ich hier auf der Matratze und sterbe fast vor Hunger. Das kann es doch nicht sein. Sieht so das Leben aus? Ich habe alles verloren, ich bin ein Nichts!! Ich habe Hunger, ich halte es nicht mehr aus. Warum geht es auf der Welt so ungerecht zu? Die einen leben in Saus und Braus und die anderen kämpfen um ihr Überleben. Ich bin müde, mein Magen knurrt, morgen muss ich mal wieder meinen Kühlschrank auffüllen solange das Geld noch reicht...
20.08.92
Heute war es heiß, sehr heiß, es war fast unerträglich. Als ich an den vielen Autos vorbei lief, sah ich mich in einem spiegeln: meine dünnen, schwarzen Haare hingen kraftlos herunter. Mein Spiegelbild sah mir aus den großen Augen müde entgegen und auf meiner Stirn bildeten sich Falten. Ich hatte mir in letzter Zeit keine Gedanken über mein Aussehen gemacht, aber das erschreckte mich dann doch! - Es waren wenig Menschen unterwegs. Beim Anblick von dem vielen Essen im Supermarkt lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich konnte mich nicht beherrschen und gab fast mein ganzes Geld aus. Dumm, aber manchmal muss auch ich mir etwas gönnen. Als ich dann in den Flur meiner kleinen verstaubten Wohnung trat, fiel mir das Bild auf, mein Bild, von mir selber gemalt..!! Ich hatte es vor langer Zeit dort aufgehängt. Es war sehr bunt und strahlte Freude aus.. So hatte ich damals gemalt: viel Grün erfüllte das Bild, es drückte Leben aus. Der fast wolkenlose, blaue Himmel erstreckte sich über der Blumenlandschaft. Man sah, dass ich sehr viel Arbeit, aber auch Fröhlichkeit in dieses Bild gesteckt hatte! Doch nach einiger Zeit war mir die Lust am Malen vergangen und meine Bilder wurden immer düsterer, das lag wahrscheinlich daran, dass Kathi gegangen ist. - Kathi...
Auf einmal kamen wieder alle Erinnerungen in mir hoch. Das Atellier mit Kathi, meiner besten Freundin. Damals hatte ich wohl eine Glückssträhne..Ich verdiente mit dem Malen ganz gut...nicht so viel, aber ich war glücklich!! Doch das alles lag wohl an Kathi, sie hat dafür gesorgt, dass meine Bilder auch weggehen, also verkauft werden. Sie konnte so etwas gut!! Trotzdem war das eigentlich nicht der Beruf, den sie immer haben wollte. Früher ist sie außerhalb der Arbeit noch in Theaterkurse gegangen und hat mir erzählt, dass sie mal Schauspielerin werden will und ganz reich und berühmt. Deshalb ist sie dann auch zu vielen verschiedenen Castings gegangen, meistens weit weg, in anderen Städten. Ich hätte das nie gedacht, aber eines Tages bekam sie dann eine Zusage für einen Film.
So mussten wir uns also verabschieden..
Sie zog in eine andere Stadt, nach Hamburg, nicht so weit weg von meiner Stadt, aber trotzdem...auf einmal war sie weg.
Bei ihr ist alles glatt gelaufen im Leben. Bestimmt sitzt sie jetzt mit ihrer Familie zu Hause und lässt es sich gut gehen...
Warum bin ich nur so gesunken, was mein Leben angeht? Ich würde so gerne die Zeit zurück drehen, aber jetzt ist es zu spät... ich bin schon 43. Zu alt um mein Leben nochmal von vorne anzufangen.
21. 08. 92
Heute habe ich einen Artikel über Kathi in der Zeitung gefunden: "Bekannteste Schauspielerin Hamburgs, Katharina Mars an Krebs erkrankt." Ich habe gezittert, als ich den Artikel gelesen habe. Ich dachte immer, sie würde ein völlig problemloses Leben führen, ich dachte, sie lebt wie eine Adlige! Wie ich sie immer darum beneidet habe wie sie von allen Männern begehrt wurde. Doch dieses Lebensbild entspricht nicht ihrem momentanen Zustand. Ich muss Kathi besuchen, sie ist sterbenskrank, sie braucht mich, sie braucht Hoffnung!
21. 08. 92
Der Tag hat für mich gut begonnen, doch jetzt kann ich aus lauter Sorge um sie nicht einschlafen. Ich muss zu ihr...
22. 08. 92
In der Zeitung stand auch das Krankenhaus, in dem Kathi jetzt liegt, also habe ich mein letztes Geld für das Zugticket zusammengekratzt und sie heute dort besucht. Es geht ihr nicht so gut. Mir kamen fast die Tränen, als ich ihr trauriges Gesicht mit den eingefallenen Wangen und den dunklen Augenringen gesehen habe. Aber sie hat sich sehr gefreut, dass ich da war. Wir haben uns gegenseitig ausgesprochen...ich habe ihr alles erzählt: wie wenig ich nur noch verdient habe, seit sie gegangen ist, bis hin zu meiner heruntergekommenen kleinen Mietwohnung.
Und als ich damit anfing, wie sehr ich sie all die Jahre beneidet habe, sagte sie etwas ganz Unerwartetes:
"Stefanie...du hast keine Ahnung von meinem Leben. Ich kriege keine richtige Familie zu Stande. Ich habe mich vor kurzem von meinem Mann getrennt. Sie alle sind nur an meinem Geld interessiert. Freunde habe ich auch nicht.. zumindest keine richtigen. Du bist die einzig wahre Freundin die ich jemals hatte. Wenn ich aus dieser ganzen Sache irgendwann wieder rauskomme, wollen wir dann wieder zusammenarbeiten? Ich habe genug von der Schauspielerei! Wenn ich wieder für dich arbeiten würde, dann könnte ich ja einfach ab und zu einen kleinen Film drehen, damit ich nicht gleich ganz aufhöre..."
Ich habe mich zu ihr aufs Bett gesetzt und sie umarmt. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich die weinende Kathi im Arm hielt. Einerseits war ich sauer, dass sie mich damals einfach im Stich gelassen hatte, doch andrerseits fühlte ich mich in ihrer Nähe sehr wohl. Es war wieder das vertraute Gefühl...ich fühlte mich geborgen und nicht mehr einsam. Mit ihr würde sich mein Leben bestimmt ändern, mit ihr bin ich nämlich glücklich und das wird sich dann bestimmt auch wieder auf meine Bildern auswirken. Ich wusste doch, dass ich mit dem Malen noch nicht fertig bin!! Also versprach ich ihr, dass wir gemeinsam einen Neuanfang versuchen würden und verließ das Krankenhaus.
Aber ob sie den Krebs jemals überlebt..?? Ich weiß nicht genau, was die Zukunft mit sich bringen wird, aber ich glaube fest daran, dass es besser werden wird, als mein momentanes Leben...
2 Kommentare:
Interessant, eine Geschichte in Tagebuchform! Das gefällt mir gut! Die Tagebuchschreiberin kann ich mir noch nicht ganz so gut vorstellen. Was malt sie denn? Welches Bild ist das, von dem sie am Anfang bspricht? Könntest du das genauer beschreiben? (Dazu hast du doch vielleicht noch Rohmaterial!) Was für einen Job hat die Freundin bekommen? Künstler arbeiten mesitens selbständig... Und warum hat sie den Kontakt abgebrochen, wenn man in ein andees Viertel in derselben Stadt zieht, kann man doch heutzutage in Verbindung bleiben, oder? Zwei Freundinnen, mit unterschiedlichen Lebenswegen, das ist ein Superthema, da kannst du noch viel draus machen!
Viel besser! So finde ich das einen glaubwürdigen Ausschnitt. Vielleicht könntest du das frühliche Bild noch genauer beschreiben - jede Erzählung ist so gut wie die Details, die sie erwähnt. Zum Beispiel der Name, Kathrina Mars, der ist super! Was glaubst du, wie die Geschichte weitergeht?
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