Die Frau mit dem roten Mantel

11/09/2008 04:44:00 PM Edit This 0 Comments »
Die Frau mit dem roten Mantel

Den Ausflug hatten wir schon lange geplant. Wien - das war unser Ziel. Wir sind mit dem Zug hingefahren und hatten vor jetzt durch die Stadt zu laufen. Jetzt stehen wir hier. Die vielen kleinen Häuser mit den schönen Dachgiebeln,... meine Mutter ist begeistert. Dann laufen wir über den Prater, den großen Rummelplatz mit dem größten Riesenrad der Welt. Weil meine Eltern aus lauter Begeisterung schon wieder stehen bleiben, dauert die ganze Tour noch länger. Am Marktplatz bestaunen meine Eltern die große Kirche. Ich habe keine Lust schon wieder stehen zu bleiben, deshalb gehe ich ein Stückchen weiter, zu einem netten Café. Es ist sehr urig. Mit blauen Fensterläden und bunten Blumen in den Kästen hat es etwas Verträumtes.
Mir gefällt es, denn ich mag Verzierungen und natürlichen Schmuck.
Ich mache einen Schritt zur Tür hinein, bleibe stehen. Es ist als wenn man von einer Welt in die andere geht. Ganz ehrlich...ich bin erst einmal erstaunt und etwas geschockt. Draußen ist es gemütlich und drinnen ist es irgendwie modern. Mir gefällt es nicht.
In diesem Café sind tausende rote Sofas. Rotes Leder, edles Leder, sehr gut gepflegt. Manchmal stehen auch Sessel bei den Sofas dabei. Bei jeder Tischgruppe steht jeweils ein Tisch. Auf jedem Tisch steht eine Blumenvase mit herrlich duftenden Wiesenblumen. Ich schaue mich um und merke, dass der Raum unendlich weit in die Wand hineingeht. Oder ist das nur Täuschung? Nicht wirklich…hm...Ich bleibe stehen und muss mich erst einmal an den Anblick gewöhnen. Ich gehe weiter in den Raum hinein und langsam wird mir klar, dass der Raum eigentlich ganz klein ist, und zwar sehr klein. Die ganze hintere Wand ist nämlich voll von Spiegeln. Die roten Sofas spiegeln sich in den vielen Spiegeln und so erscheint der Raum irgendwie unendlich. Ich gehe langsam weiter in den Raum hinein und berühre die Spiegel. Glatt und kalt. Ich drehe mich um und betrachte nun von der anderen Seite den Raum. In einer Nische ist eine Theke. Sie ist wie in die Wand hineingeschlagen...so finde ich, sieht es aus. Keine Kellnerin und kein Koch und auch kein Gast sind zu sehen. Ich bin alleine in diesem Café.
Oder doch nicht?!...
Ich habe mich getäuscht! Man kann sie fast nicht erkennen. Ihr Kleid hat dieselbe Farbe wie die Sofas, knallrot. Ich schaue verstört zu ihr herüber. Sie schaut nach unten in ihren Kaffee.
Sie starrt scheinbar gedankenverloren vor sich hin, ohne jeglichen Anschein von Konzentration. Vielleicht schläft sie ja. Ich habe ein bisschen Angst vor ihr. Ich gehe zu ihr hin, fast unscheinbar gehe ich an ihr vorbei, als ob ich gar nichts von ihr will. Die Frau hat schwarze Stöckelschuhe an, sie sind mindestens zehn Zentimeter hoch. Außerdem trägt sie schwarze Lederhandschuhe und einen schwarzen Hut. Unter dem Hut quellen blonde Locken hervor, schulterlang. Ich finde sie eigentlich ganz schön, weil ich ihren Stil mag. Sie hat schmale Hände und eine gute Figur.
Ich schaue weg, da sie mich plötzlich anschaut. Ich werde verlegen, gehe weiter. Vorsichtig drehe ich mich wieder um und schaue ihr direkt in die Augen. Es ist so eine Art Hin-und-her zwischen meinen Blicken und ihren. Ich versuche immer sie zu beobachten, ohne dass sie meine Blicke bemerkt, aber jedes Mal, wenn ich denke, sie bemerkt mich nicht, schaut sie mich schlagartig an und starrt mir in die Augen. Diese Augen... graue Augen, ohne Glanz und mit langen Wimpern. Solche Augen?Hat sie Kontaktlinsen? Man kann es nicht erkennen. Eigentlich sehen sie aus, wie Plastikaugen, ja so finde ich sehen sie aus. Ich schaue auf ihren Kaffee. Ich kann es fast nicht glauben. Auf ihrem Kaffee schwimmt ein dunkelbraunes Kaffeeschaumherzchen. Ist sie eine Zauberin?
Es sieht schön aus, das Herzchen.
Die Frage ist nur...wie hat sie das gemacht?
Soll ich sie fragen? Soll ich wieder gehen? Sind meine Eltern schon weitergegangen?
Was ist, wenn sie nach mir suchen?
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Ich drehe mich wieder zu der Frau um, diesmal schaut sie wieder in ihren Kaffee.
Aufeinmal taucht doch eine Kellnerin auf.
Sie ist sehr klein, fast wie eine Schülerin.
Die Kellnerin schaut mich freundlich an. Ich, in meiner Versunkenheit, lächele schüchtern zurück.Da dreht sich die Kellnerin zu der Frau auf dem Sofa hin.
Gespannt starre ich zu den beiden hinüber.
Die Kellnerin fragt die Frau: "Schmeckt ihnen der Kaffee nicht?"
Die Frau schaut die Kellnerin an, aber sie sagt nichts.
Die Kellnerin wartet auf eine Antwort, und als die Frau immer noch nichts sagt, fragt die Kellnerin:"Kann ich ihnen denn noch etwas bringen?"
Wieder spricht die Frau kein Wort.
Die Kellnerin schaut mich verstört an und dann fragt sie die Frau: "Ist ihnen nicht gut?"
Als die Frau im roten Mantel immer noch nicht antwortet gibt es die Kellnerin auf und geht wieder zurück zur Theke.Ich weiß nicht, aber ich fand das unhöflich von der Frau.
Es kann aber auch sein, dass sie stumm ist, die Frau.
Dann ist es natürlich klar, dass sie nichts redet und weil es ihr vielleicht peinlich ist schaut sie in ihren Kaffee.
Die Kellnerin ist sichtlich verstört und blickt immer wieder zu der Frau zurück.
Ich traue mich nicht mehr zu der Frau auf dem Sofa hinzuschauen und deshalb betrachte ich das Bild, das an der Wand hängt. Es ist eine Art Winterlandschaft. Oder nicht? Doch! Auf dem Bild sind viele Leute, die Schlittschuhfahren, auf einem zugefrorenen See.
Plötzlich höre ich ,wie die Frau aufsteht und zu mir an das Bild kommt.
Ich bekomme Angst und weiche etwas zur Seite.
Vorsichtig schaue ich sie von der Seite an.
Sie starrt auf das Bild und da fängt sie an zu reden.
Sie sagt: "Das ist meine Heimat, da bin ich groß geworden.
München. Da wo heute ein großes Museum ist.
Ich bin weggezogen."
Ich habe mich unglaublich erschreckt, als die Frau plötzlich anfing zu reden.Dass sie aufeinmal anfängt, komisch...
Ich habe der Frau zugehört, traue mich aber nicht ihr in die Augen zu schauen, und dann, ganz unkontrolliert frage ich: "Warum musstest du weg?" Ich bin über meine Frage erschreckt,
warte aber trotzdem gespannt auf ihre Antwort.
Sie sagt: "Ich musste nicht, ich wurde gezwungen, von meinem Stiefvater!"
Ich war erschöpft von dem bisherigen Geschehen in diesem Merkwürdigen Café. Dennoch fragte ich: "Warum wollte ihr Stiefvater das?"
Sie antwortete wieder: "Weil er wollte, das ich in Wien mein Studium mache und eine gute Ausbildung habe und, dass ich ein gutes Allgemeinwissen habe und viel Geld verdiene."
Ich fragte nicht weiter, wollte aber dennoch wissen, warum sie jetzt vor diesem Bild stand, warum auf ihrem Kaffee ein Herzchen schwamm und was jetzt aus ihrem Leben geworden ist.
Die Frau starrte immer noch auf das Bild, fuhr aber mit ihrer Erzählung nicht fort.Nochmal fasste ich meinen Mut zusammen und fragte: "Und bist du jetzt reich und hast du jetzt ein gutes Allgemeinwissen?"
Die Frau antwortet diesmal gleich nach meiner Frage: "Bist wohl neugierig, was?"
Ich wurde knallrot und traute mich nicht mehr sie anzuschauen.
Was dachte sie jetzt? Fand sie das frech, dass ich gefragt hatte, oder machte sie sich darüber keine Gedanken.
Zu meiner Erleichterung nahm sie das hin, als wäre nichts gewesen und sagte: "Also, ich arbeite als Architektin in einem Büro. Mein Chef ist zwar nett, aber er teilt mich immer ein, wenn jemand anderes nicht da ist, weil ich so gut arbeite."
Ich bin von der Verlegenheit eben noch ganz benommen und kriege nur "Ist doch gut!" heraus und gleich antwortet wieder die Frau: "Naja, für meinen Hund, meine Pferde und meine Freunde habe ich dann umso weniger Zeit."
Als ich höre, dass sie einen Hund und Pferde hat, frage ich gleich: "Was haben sie denn für einen Hund und wie sehen die Pferde aus?"
Sie antwortet lächelnd: "Rico heißt er und ist ein Bernersennenhund. Meine Pferde...
Hast du schon einmal etwas von den schneeweißen Lippizanern gehört?"
Ich überlege kurz.
Ja richtig, da kam neulich ein Film im Fernsehen, über diese bezaubernden Pferde.
"Ja, hab ich", sage ich schnell.
Sie sagt: " Mir gehören zwei, von diesen Pferden."
Ich will mir nicht anmerken lassen, dass ich übermäßig erstaunt und auch etwas neidisch bin.
Deshalb sage ich nur: "Aha, ...toll!"
Wir schweigen.
Da stehen wir nun, beide nebeneinander und sagen nichts.
Bestimmt suchen meine Eltern schon nach mir und sie wissen ja nicht, dass ich hier bin.
Aufeinmal höre ich lautes Schuheklackern vor der Tür des Cafés.
Ich drehe mich um und ebenso die Frau nebenmir.
Meine Mutter ist das.
Ich seufze und sage schnell zu der Frau: "Meine Mutter."
Die merkwürdige Frau neben mir nickt nur.
Nicht so, wie ich erwartet hatte, sagt meine Mutter kurz und knapp: "Ach da bist du. Papa sucht dich draußen, während ich hier diese bewundernswerte, schnuckelige und einfach tolle Café begutachte. Mein Gott, so etwas gibt es doch nicht, die Vorhänge, so ein niedlicher Stoff, mit Blümchenmuster..."
Und schon lange hört ihr niemand mehr zu...
Ich frage die sichtlich verwirrte Frau neben mir:" Haben sie einen Mann oder Kinder?"
Sie antwortet: "Nein, aber ich hätte gerne Kinder!"
Ich möchte noch schnell meine Fragen loswerden und fahre fort: "Und was ist jetzt mit dem Bild und ihrem weiterem Leben?"
Sie spricht weiter: "Ich überlege, ob ich zurück nach München gehen soll und dort als Tierärztin arbeiten soll."
Ich sage: "Mir gefällt es hier in Wien sehr gut und was wäre mit ihren Pferden und ihrem Hund, wenn sie wegziehen würden, ich finde sie sollten hier bleiben, weil sie doch auch hier als Tierärztin arbeiten können und, weil...weil..."
"Du setzt dich ja richtig für mich ein!", sagt die Frau und lacht.
Ich lache auch.

Am Ende ist es so gekommen, dass ich der Frau meine Eltern vorgestellt habe und umgekehrt.
Sie haben sich gleich angefreundet und meine Mutter war ebenfalls wie ich von dem Stil der Frau begeistert.
Wir sind zusammen in eine Vorstellung der weißen Lippizaner gegangen und hatten viel Spaß miteinander.
Sie wohnt weiterhin in Wien und wir in Augsburg.
Wir haben ihr versprochen, dass wir sie besuchen kommen und sie hat mir versprochen, dass ich dann reiten darf und vieles mehr wollen wir machen.
Ich freue mich schon auf das nächste Mal und bin immer noch über die Möglichkeiten erstaunt eine neue Freundschaft zu schließen, mit jemandem, den man vorher noch nie gesehen hat!